Die deutsche Industrie zahlt schon seit Jahren mit die höchsten Energiepreise. Folge: Energieintensive Branchen investieren weniger als sie abschreiben, zehren somit die Substanz auf. Der Trend verstärkt sich nun weiter, da die Schere zwischen Deutschland und anderen Ländern sich noch weiter öffnet.

„Keine Idee der Welt schafft es noch, die aktuellen Wettbewerbsnachteile bei den Energiekosten zu kompensieren.“ Der Schritt von einer „weltweit führenden Industrie- und Exportnation hin zum Industriemuseum ist kurz….“ So der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI).

Gemäß einer DIHK-Umfrage vom 25.07. unter 3.500 Industriebetrieben in Deutschland sind wegen der hohen Energiepreise 16 % der Unternehmen gezwungen, die Produktion herunterzufahren oder ganze Geschäftsbereiche aufzugeben. 25 % haben dies bereits umgesetzt, ein weiteres Viertel ist dabei. Der Rest plant entsprechende Schritte. Besonders betroffen sind energieintensive Branchen wie Stahl, Glas, Papier, Chemie und Zement. Erst die Hälfte der Industriebetriebe hat den Bedarf für 2022 vollständig gedeckt. Mehr als ein Drittel müssen noch mehr als 30 % der Jahresmenge kaufen.

Der BDI befragte Anfang September ca. 600 mittelständische Industrieunternehmen

  • mehr als 90 % sehen die Energie- und Rohstoffpreise als existenzielle oder starke Herausforderung
  • 20 % denken über eine teilweise oder vollständige Verlagerung ins Ausland nach.
  • 40 % stellen Investitionen in Dekarbonisierung zurück

Der „Bundesverband mittelständische Wirtschaft“ befragte im September mehr als 1.100 Unternehmen:

  • 52 % sehen ihre Existenz gefährdet (im August 42 %)
  • 25 % haben schon jetzt ein vielfaches an Energiekosten

Beispiele:

Hakle, 227 Mitarbeiter, Umsatz ca. 80 Mio.€/a, Jahresüberschuß: 0,65 Mio. €

Hakle hatte im Rahmen des Energiekostendämpfungsprogramms (EKDP) am 18.07. einen siebenstelligen beantragt und Mitte August beim BAFA nachgefragt: „…müssen erst noch das IT-System dafür aufbauen…“

Inhaber Volker Jung: „Hätten wir die Staatshilfe schneller bekommen, wären wir jetzt nicht zahlungsunfähig. Bis zum Insolvenzantrag haben wir keinen Cent gesehen, nun sind wir nicht mehr antragsberechtigt.“

Arcelor-Mittal Deutschland, 9.000 Mitarbeiter

Das Unternehmen betreibt in Deutschland Stahlwerke in Bremen, Eisenhüttenstadt, Hamburg und Duisburg. Mit der Produktion von ca. 7 Mio. t Rohstahl pro Jahr ist ArcelorMittal einer der größten Stahlhersteller Deutschlands. Auto-, Bau- und Verpackungsindustrie gehören zu den Kunden.

Der Stahlkonzern stellt in Hamburg und Bremen teilweise den Betrieb ein. Grund: „die exorbitant gestiegenen Energiepreise“. Die Herstellung sei nicht mehr wettbewerbsfähig, so der Konzern. In allen Werken gebe es bereits jetzt Kurzarbeit. Diese müsse nun ausgeweitet werden.

Ortrander Eisenhütte, 310 Mitarbeiter, Energiebedarf: 45 GWh/a (vor allem Strom)

Im November 2021 wurde Strom am Terminmarkt für 2022 gekauft, für 2023 wurden bisher 50 % der Menge preislich fixiert. Beim aktuellen Preisniveau würden sich die Energiekosten 2023 auf 18 Mio. € verdoppeln, bei einem Umsatz von ca. 60 Mio. €.

Geschäftsführer van Haß: „Diese Preise sind existenzbedrohend und können nicht an die Kunden weitergereicht werden.“

Thoma Metallveredelung, Heimertingen, 150 Mitarbeiter

Zukünftig werden voraussichtlich 3 Mio. €/a für Strom fällig – statt bisher 750 T€/a. Die Kostenexplosionen bei Gas und Heizöl kommen noch dazu. Weil die Chemieindustrie die Produktion drosselt, fehlen Salzsäure und Natronlauge, ohne die nicht produziert werden kann.

Andrea Thoma-Böck, geschäftsführende Gesellschafterin: „Die Reserven aller Unternehmen in der Branche reichen nur noch wenige Wochen. Wenn wir nicht zuarbeiten, fehlen der Automobilindustrie, der Luftfahrt, der Baumaschinenindustrie, der Windkraft, der Medizintechnik entscheidende Teile.“

Heinz-Glas-Group, 3.000 Mitarbeiter, 300 Mio. € Umsatz

Die Glas- und Kunststoffproduktion findet in Deutschland, Indien, Peru, Polen, Tschechien und der Schweiz statt. Am Heimatstandort im oberfränkischen Kleintettau ist die Produktion wegen der teuren Energie kaum noch wirtschaftlich. 2019 lagen die Kosten für Strom und Gas bei 11 Mio. €, 2022 bei 30 Mio. €, 2023 dürften es noch mal deutlich mehr werden, befürchtet Unternehmerin Carletta Heinz.

Brauerei Riegele, Augsburg, seit 1386, 150 Mitarbeiter

Sebastian Priller, Brauereichef: „Wir kommen kaum noch an Kohlensäure, weil die chemische Industrie ihre Prozesse runterfährt, auch Flaschen und Kronkorken sind plötzlich Mangelware, weil die Glas- und Aluminiumhütten ihre Produktion verringern“. Hinzu kommt die Kostenexplosion bei Verpackung, Malz, Zucker und Energie. „Unser Stromvertrag läuft Ende des Jahres aus. Wenn ich dann zu den aktuellen Preisen einkaufen muß, weiß ich nicht, wie ich noch gewinnbringend produzieren soll.“

Porzellan-Hersteller Eschenbach, Triptis, seit 1891, 99 Mitarbeiter

Das Unternehmen beliefert vor allem Hotels und Gaststätten, hat volle Auftragsbücher, wird aber seine Produktion zum Jahresende einstellen. Eschenbach müsste 2023 für Gas gegenüber 2022 den sechsfachen Preis bezahlen. Ein wirtschaftlicher Betrieb sei so nicht möglich, ohne die Verkaufspreise zu verdoppeln, so Inhaber Rolf H. Frowein

Dachziegelwerke Nelskamp, 300 Mitarbeiter

Die Produktion von Tondachziegeln wurde am 01.09. in den Werken ­­Groß Ammensleben bei Magdeburg und im unterfränkischen Unsleben eingestellt. Die Einkaufspreise für Strom und Gas haben sich im Vergleich zu 2020 etwa versechzehnfacht. Hinzu kommen weitere Umlagen ab Oktober. Die Lage sei so unsicher, daß künftige Kosten nicht kalkuliert werden könnten, so das Unternehmen.

Bäckerei Exner, Beelitz, 36 Filialen, 220 Mitarbeiter

Kostenexplosion für Mehl, Zucker, Gas, Speiseöl, Transport, Verpackungen und Energie, z.B. Strom: Letzter Energieeinkauf 2020 für 37 €/MWh, aktueller Preis 2022: 480 €/MWh (+1.300 %), kein Vertrag für 2023 am Markt erhältlich.

Bäcker Exner: „Ich mache jetzt mit jedem Brötchen Verlust.“